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Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz – Warum es sich lohnt, das Tabu zu brechen

Foto: Antonio_Diaz via iStock

Dipl.-Ing.in Karoline Kehrer

Verein sprungbrett, Projektkoordinatorin Act4Respect

Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz ist ein weitverbreitetes Problem: 56% aller Arbeitnehmerinnen sind davon betroffen, besonders häufig Lehrlinge oder Berufseinsteiger_innen. Darüber zu reden fällt nicht leicht. Erste Anstellungen, Ausbildungsverhältnisse und Praktika sind oft durch Abhängigkeiten und Hierarchien geprägt, die es schwermachen, sich zu wehren. Auch geringe Sprachkenntnisse oder finanzielle Not vergrößern die Hürde, Übergriffe beim Namen zu nennen.

Sexuelle Belästigung hat viele Gesichter. Unangebrachte Blicke oder Nachrichten mit sexuellen Anspielungen zählen ebenso dazu, wie verbale Grenzüberschreitungen oder Berührungen. Sie kommt in allen Branchen vor, besonders häufig in klassischen „Männerdomänen“ oder in Bereichen mit viel Kund_innenkontakt.

Wie sexuelle Belästigung funktioniert

„Bei sexueller Belästigung geht es dem_der Täter_in nicht um sexuelle Anziehung, sondern darum, die eigene Macht auszuspielen“, so Karoline Kehrer, Projektkoordinatorin von Act4Respect, einem Projekt zur Prävention sexueller Belästigung, das 2019 vom Verein sprungbrett gemeinsam mit der AK Wien ins Leben gerufen wurde. „Die meisten Täter_innen wissen sehr genau, dass sie Grenzen überschreiten und testen aus, wie weit sie gehen können. Zuerst machen sie z.B. eine Bemerkung über das Aussehen einer Mitarbeiterin. Reagiert niemand darauf, geht die nächste Bemerkung noch ein Stückchen weiter. Kritisiert jemand das übergriffige Verhalten, wird es als ‚Kompliment‘ oder ‚Überempfindlichkeit‘ verharmlost“, beschreibt Kehrer die Dynamiken. 

Betroffene werden durch diese Grenzverschiebung mit der Zeit verunsichert und zweifeln an ihrer eigenen Wahrnehmung. Hinzu kommen Scham und die gesellschaftlich ausgeübte Täter-Opfer-Umkehr, sodass sich viele fragen, ob sie selbst etwas falsch gemacht oder herausgefordert haben. Sie haben Angst davor, Kolleg_innen ins Vertrauen zu ziehen oder sorgen sich, dass ihnen nicht geglaubt wird. Dabei zeigt die Erfahrung: wird sexuelle Belästigung thematisiert, stellt sich oft heraus, dass es noch andere Betroffene gibt.

Was man dagegen tun kann – Act4Respect

Das Projekt „Act4Respect“ widmet sich diesem Thema, möchte sensibilisieren, informieren, Betroffene und deren Umfeld unterstützen und stärken. Eine eigene Telefonberatung wurde eingerichtet. „Mehrere Stellen bieten Rechtsberatung an, oft geht es aber erst einmal darum, über die Übergriffe zu sprechen, die Situation einzuordnen und mögliche Schritte durchzudenken. Dafür sind wir da. Die Beratung ist vertraulich, kostenlos und auf Wunsch anonym“, berichtet Kehrer. Act4Respect richtet sich im Besonderen an Lehrlinge und junge Menschen, bietet Sensibilisierungsworkshops an Berufsschulen und Informationsveranstaltungen für Unternehmen in Wien an. 

Das Angebot wird gut genutzt. Die Erfahrung zeigt, dass es externe Einrichtungen braucht, um sich Rat und Hilfe zu holen. So gibt es in Unternehmen zwar meist Ansprechpersonen. „In der Praxis erleben wir aber, dass das so nicht funktioniert. Da ist der Belästiger ein alter Freund des Geschäftsführers oder der Chef selbst, der Betriebsrat ist ab dem Moment, in dem sich der_die Täter_in auch an ihn wendet, keine Hilfe mehr, die Stelle des_der Gleichbehandlungsbeauftragten wurde seit einem halben Jahr nicht nachbesetzt etc.“ erzählt Kehrer. Die österreichweite Telefonberatung ist unter 0670 600 70 80 jeden Montag 11-14 Uhr und jeden Donnerstag 16-19 Uhr erreichbar.

Tipps für Betroffene:

– Wenn du eine sexuelle Belästigung erlebt hast, vertraue deiner Wahrnehmung! Du bist nicht schuld und musst den_die Täter_in nicht schützen.

– Sprich mit einer Vertrauensperson und/oder einer Beratungsstelle.

– Dokumentiere die Vorfälle (was ist wann wo passiert, wer war dabei etc.), das kann später hilfreich sein.

Sie möchten mehr erfahren?

Sprungbrett ist eine Beratungsstelle für Mädchen* und junge Frauen* und von Montag bis Donnerstag von 9-17 Uhr unter der Nummer 01/7894545 erreichbar.

Besuchen Sie die Website www. sprungbrett.or.at und informieren Sie sich weiter.

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